KALTER TOD

 

 

Das Cover zeigt einen Bauernhof in der Nähe Niebülls im Dezember 2012.

 

Preis:      EBook:                      3,00€  

               Taschenbuch:         10,50€

 

 

Angefangen zu schreiben:   9.Juli 2019

Letztes Wort geschrieben: 24.11.2019       =      116 Tage

 

 

Leseprobe  (Anfang)

 

Kapitel 1

 

 

 Mit dreiundsechzig sieht man nicht mehr frisch aus – wie ein junger Hüpfer etwa von zwanzig oder dreißig Jahren. Vor allen Dingen dann nicht, wenn man so tot ist, wie es Stefan Hinrichsen war, als er von Dorothea, seiner Frau, gefunden wurde. Er musste schon seit geraumer Zeit da zwischen seinen Kaninchenställen und dem Geräteschuppen hinterm Haus gelegen haben, denn er war kreidebleich im Gesicht, so dass Dorothea einen gehörigen Schrecken bekam, der sich allerdings zu einem anständigen Grauen ausweitete, als sie der großflächigen Blutlache gewahr wurde, die unter seinem Kopf hervorgequollen war. Seine weit aufgerissenen Augen starrten ihr mitten ins Gesicht.

     Sie stand da wie angewurzelt und wusste nicht, was zu tun war, ging in die Knie, beugte sich über den Körper ihres Mannes, der tot dalag, und streckte vorsichtig ihre Hand aus, zog sie aber sofort wieder zurück, denn sie empfand Ekel. Und übel wurde ihr, dass sie sich fast übergeben hätte. Was war passiert? Wer hatte das getan? Warum? Sie erhob sich. Jede Menge Fragen stürmten auf sie ein: Was, wenn der Mörder auch hinter ihr her wäre? Musste sie die Polizei anrufen? Oder den Rettungsdienst? Was sollte jetzt werden?  

      Sie riss sich vom Anblick der Leiche los, drehte sich um und wankte zurück ins Haus! Es musste etwas geschehen! Das Telefon hing im Flur neben dem Garderobenspiegel. Mit zittrigen Fingern ergriff sie den Hörer und wählte die 110.

     Man fragte nach Namen und Adresse. »Rühren sie nichts an!«, sagte die Stimme am anderen Ende. »Bleiben Sie im Haus! Wir sind in zehn Minuten bei Ihnen.« Dann legte Dorothea auf.

     »Erzählen Sie bitte!«, bat sie der Polizeibeamte, als die Ermittler vor Ort waren, und nachdem er die übliche Beileidsbekundung geäußert hatte. »Sie betreten den Hof, sehen ihren Mann dort liegen und . . . wollen ihm helfen. Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen? War etwas anders als sonst?«

     Bescheuerte Frage, überlegte der Polizist. Findet ihren toten Mann und soll nebenbei noch die Gegend beobachten. Er beließ es dabei und wartete.

     »Ich hab einen Schrecken bekommen. Das viele Blut!« Dorothea stand da wie ein begossener Pudel, so als wollte sie dem Beamten ihre körperliche und seelische Verfassung zum Zeitpunkt des Auffindens der Leiche demonstrieren.  Sie jammerte nicht. Sie weinte nicht. War nur kleinlaut und sprach leise und stockend. »Und als ich sein Gesicht berühren wollte, ist mir schlecht geworden.«

    Sie berichtete über ihre Angst vor dem Mörder, sprach davon, was nun werden sollte und erzählte, dass sie schließlich ins Haus zurückgegangen war, um die Polizei oder den Rettungswagen zu alarmieren.

     Wollte man den Leuten Glauben schenken, war sie es, die ihn umgebracht hatte. Die einen nannten die Tat kaltblütig. Und andere aber wussten, dass es unausweichlich eines Tages so hatte kommen müssen. Hinter vorgehaltener Hand tuschelten sie darüber, wie lieblos und gemein er Tag um Tag mit ihr umgegangen war, ja, wie grausam und brutal er sie behandelt, gedemütigt und sogar geschlagen hatte.

     Manch einer fragte sich später, ob man nicht hätte einschreiten können, einschreiten müssen, ihr helfen – wie auch immer.

     Und wieder andere, vor allem die Deezbüller Nachbarn, die sie besser kannten als das Niebüller Volk und die aus dem Umland, konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Dorothea zu so etwas wie einem Mord fähig gewesen wäre, denn sie war eine zurückhaltende, friedfertige und sympathische kleine Person, die nie auch nur ein schlechtes Wort über ihre Mitmenschen verlor, geschweige denn gewalttätig gegen andere werden konnte.

     So hatte es sich auch ergeben, dass die ermittelnden Beamten des Polizeireviers Niebüll keinen Beweis gefunden hatten, kein Indiz, das auf eine mögliche Verstrickung hingedeutet hätte, nicht einmal einen winzigen Anhalt für eine Schuld, obwohl sie anfangs natürlich als mögliche Täterin mit einbezogen worden war, denn Ehegatten sind grundsätzlich erst einmal verdächtig, wenn der Partner umgebracht wird.

     Trotz ihres feinen Charakters gab es kaum Freunde, auf die sie zählen konnte. Sicherlich war das jahrelange Ehemartyrium nicht schuldlos an ihrer Menschenscheu und ihrer Abneigung, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Im Grunde gab es da nur Bente, die junge Nachbarsfrau, vor kurzem zugezogen, ledig und schön, die gelegentlich hinüberschaute, um zu quatschen und der Älteren die Zeit zu vertreiben.

     Irgendwann – Stefan, dem Mann der Alten, blieb noch genau ein Tag bis zu seinem gewaltsamen Tod – nahm sich Dorothea ein Herz und erzählte ihrer Freundin, was Sache war. Nur die engsten Familienmitglieder wussten davon oder ahnten etwas. Sie sprach mit langen Pausen. Hielt inne, wenn die Schilderung des täglichen Schreckens ihr offensichtlich schwerfiel. Weinte auch zwischendurch.

     Die Nachbarin legte ihr die Hand auf die Schulter, streichelte sie zum Trost und sagte kein Wort.

     Als sie ihren Kopf hob und aus dem Küchenfenster schaute, sah sie Stefan Hinrichsen im Hof herumwuseln, mit dem Rasenmäher hantieren, die Kaninchen versorgen. Er war ein kleines, unscheinbares Männchen, dem man aus der Entfernung nicht ansah, wie gewalttätig er sein konnte. Sie war ihm vielleicht drei oder vier Mal begegnet, seit sie kurz nach ihrem Umzug begonnen hatte, Dorothea zu besuchen, hatte in der Zeit keine zehn Sätze mit ihm gewechselt, ihn nicht ein einziges Mal lachen oder wenigstens lächeln sehen.

     Jetzt sah sie ihn da im Hof mit anderen Augen. Alles, was ihre Freundin ihr erzählt hatte, machte Sinn. Alles passte zusammen.

     Als sie ging, war es bereits dunkel.

 

Bente hatte es nicht weit bis nach Hause, musste nur dem Heidenschaftsweg nach Süden folgen, der unmittelbar neben der Kleinbahnstrecke verlief, und etwa hundert Meter gehen. Dort hatte sie mit Glück und ein klein wenig Beziehung ein leerstehendes, leicht heruntergekommenes Siedlungshaus mieten können.

     Wie gesagt: Sie war jung, schön und gut gewachsen. Prädestiniert für einen Job in der Hotelbranche. Im Zuge ihrer Ausbildung hatte sie die ganze Welt gesehen, im Laufe der letzten Jahre in den besten Häusern gelernt, London, Singapur, Paris. Und als Krönung dann das letzte Jahr in Dubai verbracht, im berühmten, einzigen Sieben-Sterne-Hotel der Welt, dem Burj Al Arab, der 1001-Nacht-Herberge mit der beeindruckenden Fassade und dem einzig-artigen, freischwebenden Skyview-Restaurant in zweihundert Metern Höhe. Genau dort war ihr letzter Arbeitsplatz gewesen, dort hatte sie Heerscharen von Touristen bedient, die es sich leisten konnten oder wollten, für einen Nachmittagstee mit Gebäck und Pralinen an die einhundertachtzig Euro auf den Tisch zu blättern.

     Und jetzt das beschauliche Nordfriesland, das verträumte Niebüll! Größer konnte der Unterschied nicht sein. Aber sie hatte es so gewollt, denn sie war hier geboren und hier aufgewachsen und irgendwann der Dekadenz überdrüssig, die sie in der Fremde gespürt und erlebt hatte.

 

Ihr Tag begann um vier Uhr dreißig. Der Zug, der sie jeden Morgen auf die Insel brachte, fuhr gegen sechs. Und da sie es nicht hektisch mochte, blieb ihr nichts übrig, als früh auf-zustehen.

     Nach der bemerkenswerten Beichte ihrer Nachbarin aber hatte sie sich krankgemeldet. Nicht etwa dieser Beichte wegen, die sie womöglich zu sehr belastet hätte, um nach Sylt fahren zu können. Nein, sie hatte sich eine kleine Erkältung eingehandelt, als sie in der Nacht ohne Jacke und Mütze das Haus der Hinrichsens verlassen hatte.