Griechischer Wein                                   

 

Nach jedem Auftritt war das so. Er scharte die Leute um sich. Trank mit ihnen und aß. Pizza oder sowas. Trumpfte auf mit den Höhepunkten. Witzelte über Schnitzer. Lachte laut. Lauter und mehr als die Meute manchmal. Ver-steckte seine Angst hinter toten Worten. Hinter all dem Aftershow-Gehabe. Badete im versteckten Beifall, der ihm in jeder Silbe entgegenbrandete. Jeder Silbe, die die Lippenleser ihm zubilligten. Von Beginn an.

    

Ich streckte mein Flens nach oben und grinste die linke Blonde an. Die saß mir gegenüber. Die Musik kam aus der Box und war von Peter Alexander oder so.

     »Griechischer Wein!«, schrie einer laut mit.

     Drei, vier gesellten sich zu ihm:

     »Ist so wie das Blut der Erde«, grölten sie.

     Und die Blonde streckte mir ihr Glas entgegen. Grinste unanständig. Und mir war´s recht.

     »Wie heißt du?«, schrie ich rüber zu ihr.

     »Ist doch egal«, kam es zurück.

     »Aber frech bist du nicht, oder?«

     Wir lachten laut.

Das war´s erstmal. Da saßen ja noch andere.     

     Von links kam eine Hand mit einem Joint. Ich zog kraftvoll durch und gab ihn weiter.

     »Du weißt, dass Andy aufhört, oder?«, fragte Pit, der Drummer. Der mein Nachbar war. Von dem der Joint kam.

     Darüber musste ich nachdenken. Ich sah zu der Blonden rüber. Die grinste schon wieder. Oder immer noch.

     »Andy ist ein Arsch.« Das sagte ich ganz beiläufig. Als wenn´s mich gar nichts anging.

     »Wie lange bleibst du?«, fragte sie.

     »Was für eine beknackte Frage«, erwiderte ich. »Ich plan sowas doch nicht.« Ich grinste auch.

   

 Gibt gute Bassisten in der Szene. Genug gute. Aber mit Andy war das was Besonderes. Der konnte auch singen. Er war  ´n guter Kumpel. Na ja, sind Bassisten eigentlich immer. Ich musste mich um ihn kümmern.

   

 »Ich geh´ auch«, sagte Pit.

     Das Grinsen der Blonden nervte.

     »So früh? Ist doch alles versammelt, was du brauchst. Kuck dich um!«, sagte ich.

     »Nein. Ich gehe auch«, wiederholte er. »Ich verlasse die Band.«

     »Marina!«, rief ich laut durch den Gastraum, »bring´ uns noch  ´ne Runde! Bier und Kümmerling!«

     Ich musste schiffen. Ich stand auf. Mein Oberschenkel haute gegen die Tischkante. Marina brachte die Getränke. Mein Ohr klingelte ein bisschen. Kein Wunder. Immer noch Peter Alexander: »Und wenn ich dann traurig werde, denk´ ich daran … «

     Die Blonde stand auf. Wir trafen uns im Gang zu den Klos.

     »Ich will nur pinkeln«, sagte ich.

     »Ich auch«, meinte sie und war kurz angebunden. War mir egal. Mein Oberschenkel schmerzte.

     »Wie findest du uns eigentlich?«, fragte ich sie hinterher. Ihre Antwort erreichte mich nicht, weil ich an Andy dachte. Und an Pit dachte ich auch.

     Der Auftritt war super gewesen. Es fehlten ein paar Zuschauer. Okay. Aber sonst …

 

     »Es sind die langen Tage, weißt du?« Pit war die Sache irgendwie peinlich. »Man wird ja nicht jünger.  Ist so. Was willst du machen?«

     »Wie alt bist du denn?«

     »Du weißt genau, wie alt ich bin.«

     »Na also!«

     Die Blonde drängte sich an meine Seite. Sie sah aus wie fünfzehn.

     »Gib´s  zu!«, sagte ich. »Deine Frau steckt dahinter. Gib´s  zu!«

     Ich fühlte mich nicht gut. Konnte aber unmöglich  am Bier liegen. Die Blonde hakte sich ein und presste ihren Kopf an meine Schulter. Sie stank aus dem Mund.

     Ich sollte zu Andy rübergehen. Ich sollte ihn fragen. Ich sollte! Ich sollte!

     »Mann! Die Luft ist raus«, jammerte Pit, »das merkst du doch selbst.«

     Ich merkte gar nichts. Quatsch! Die Luft ist raus! Was sollte diese Anmache?

     »Was wollten wir immer spielen, Mann?«, sprach Pit weiter, »von  Anfang an? Du weißt es. Und was spielen wir wirklich?«

     Was war da los? Hatten die was gegen mich? Ich schüttelte die blonde Klette ab. »Lass das!«, zischte ich.

     Andy schaute zu mir rüber. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte er.

     »Warum sollte Andy gehen wollen?«, fragte ich Pit.

     »Ich sag´ doch: Die Luft ist raus.«, wiederholte er. »Und … es gibt Angebote.« Er starrte mit niedergeschlagenen Augen einen Punkt auf der Tischplatte an. »Tut mir leid.«

     Ich hob den Kopf und ließ meinen Blick über die Leute schweifen, die hier mit der Band zusammen saßen und aßen und tranken und lachten und schrien. Und schnorrten und plärrten und nervten.

     Das kotzte mich alles an. Was wussten die von Musik? Was wussten die von den Opfern, die man täglich brachte? Von der Ablehnung? Von den Selbstzweifeln? Von der Angst? Vom Neid? Vom Mittelmaß? Vom Versagen?

     Ich fühlte mich wie außerhalb meiner selbst. Und plötzlich waren mir alle Zusammenhänge klar. Alle Zusammenhänge, die man sich im Leben vorstellen kann. Es gab keine Zweifel mehr. Keine Fragen . Keine Angst.

     Ich stemmte mich hoch, und mein Oberschenkel schlug gegen die Tischkante. Ich wandte meinen Blick zum Ausgang und taumelte auf die Tür zu. Ich ließ das alles hinter mir. Ich stieß die Tür auf und stand  augenblicklich draußen in der kalten Nacht.

Ich musste mich entscheiden: Links oder rechts. Ich entschied mich. Einige Meter entfernt lehnte die Blonde an der Wand. Sie grinste nicht mehr.

     Ich legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie an mich.